Der Mensch als Beute?

Bea Stalter - Gesellschaft für Haustierforschung 

Sieht sich der Mensch als potentielle Beute eines Hundes? 

Hierzu ist auszusagen, dass die Angst der Menschen vor Wölfen, aber auch vor Hunden weitestgehend auf der Vorstellung basiert, dass diese Tiere Menschen verletzen und fressen könnten. Das immer noch beliebte Märchen von Rotkäppchen legt die Grundlage für diese Angst schon in der frühen Kindheit. Auch wenn aus psychoanalytischer Sicht die Botschaft des Märchens eine andere, als  "Wölfe fressen Menschen" ist, haben viele Menschen diese irrealen Ängste vor Wolf und Hund. Irreal deshalb, wie die Gefahr, durch einen Hund oder einen Wolf zu Tode zu kommen, weit geringer ist, als die bei einem Flugzeugabsturz oder anderen Unfällen sein Leben zu verlieren. 

Dennoch kann sich eine Vielzahl von Menschen vorstellen, dass Wolf oder Hund - zumindest mehrere Individuen dieser Spezies  - Menschen durchaus töten und auch fressen könnten, wenn sie großen Hunger haben. 
Hauptsächlich dürften die Menschen, die Angst vor Hunden haben, jedoch vielmehr befürchten, durch Hundebisse ernsthaft verletzt zu werden. Diese Angst scheint stetig zuzunehmen. Ob begründet oder nicht sei dahingestellt. 
Auf jeden Fall hat sich die Politik, der Hunde lange Jahre ziemlich egal waren, das Thema zu eigen gemacht und überall erlassen die  Landesregierungen "Verordnungen zum Schutz vor gefährlichen Hunden", um die Volksseele zu beruhigen. 
  

Wie aber sieht die Behauptung "Mensch als Beute" aus der Sicht des Hundes aus? 
Trifft es überhaupt zu, dass der Hund einen Menschen als Beute bewertet und entsprechend handelt und wenn ja, was sind die Auslöser? 

Ein angeborener Auslösemechanismus, aufgrund dessen ein Hund im zumindest erwachsenen Menschen ein potentielles Beutetier sieht, das man jagen und auffressen kann, ist sicherlich nicht vorhanden, sonst wäre auch die Domestikation des Wolfes kaum möglich gewesen. Doch Wolf und Hund sind auch Aasfresser, so dass tote Menschen von Hunden ohne weiteres als Futterquelle betrachtet werden können. Zu früheren Zeiten war es durchaus üblich, menschliche  Leichen durch Hunde "entsorgen" zu lassen. Und noch heute werden in einigen Kulturkreisen Tote so bestattet, dass es für die dort lebenden Hunde, meist Parier, ein leichtes ist, ihren Fleischbedarf auf den "Friedhöfen" sicherzustellen. Auslöser für dieses Verhalten ist ganz einfach Hunger und die bequeme Form der Hungerbefriedigung, d.h. Fressen ohne Risiko, da ein toter Mensch keine Gegenwehr mehr zeigt. Dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass diese Hunde auch lebende Menschen als Beute bewerten. 

Auch der Haushund wird in Extremsituationen einen toten Menschen als Nahrung nicht verschmähen. Berichte, dass Hunde, die längere Zeit mit verstorbenen Besitzern eingesperrt waren, diese gefressen bzw. angefressen haben, gibt es häufiger. Aufgrund der körperlichen Verfassung der Hunde kann jedoch davon ausgegangen werden, dass dieses Verhalten der verzweifelte Versuch der Hunde war, zu überleben. Menschen sollen in solchen Ausnahmesituationen sogar zu Kannibalen werden können! 

In meinen Augen wesentlich tragischer sind die Fälle, in denen wenige Tage alte Säuglinge von Hunden getötet und in Einzelfällen auch gefressen werden. Eine existentielle Bedrohung wegen Nahrungsmangel kann in diesen Fällen nicht unterstellt werden. Auch dürften diese Hunde den Säugling kaum als "toten Menschen" bewertet haben, denn ein Baby, selbst einige Tage alt, wird durch Strampeln und Schreien signalisiert haben, dass es lebt. Das kleine Wesen dürfte von dem Hund weit eher als eine ihm unbekannte Spezies beurteilt werden, so dass es sich zwar um Beuteverhalten handelt, in den Augen des Hundes jedoch nicht um menschliche Beute. Vor einiger Zeit hat sich in Lothringen ein solch grausamer Vorfall abgespielt. Zwei Dackel, beide jagdlich geführt, haben in einem unbewachten Augenblick den Säugling der Besitzer getötet und gänzlich aufgefressen. 
Aufgrund der Fallbeschreibungen ist anzumerken, dass es sich in solchen Fällen überwiegend um stark beutemotivierte Hunde gehandelt haben dürfte, die meist auch über die sogenannte Raubzeugschärfe, auf die ich nachstehend noch eingehen werde, verfügen. 

Es werden jedoch auch immer wieder Fälle beschrieben, in denen erwachsene, ganz fidele Menschen - meist von einem Rudel - angegriffen und getötet werden. Sehen diese Hunde den Menschen als Beute an? 

Ich vertrete eher die Auffassung, dass solche Angriffe territorial bedingt sind oder aber die Hunde Nahrungsressourcen oder Jungtiere verteidigen. Dass bei solchen Angriffen Menschen schwer verletzt oder getötet und dann, da nicht mehr wehrhaft, als Futterquellebewertet werden, scheint durchaus möglich. Ebenfalls nicht auszuschliessen ist, dass Hunde nach solch einer Erfahrung Menschen zukünftig gezielt als Beute angehen. Ich selbst wurde einmal in Nordafrika von einem guten Dutzend Pariahunden gejagt, bzw. nach meiner Bewertung vielmehr verjagt. Dieses Verhalten zeigten die Hunde jedoch erst, als ich zu nah an das Wurflager kam. Für Beobachter sah die Szene jedoch tatsächlich so aus, als wäre ich der Hase, auf den es die Hunde abgesehen haben. 

Möglich wäre jedoch auch, dass ein Rudel, das einen Menschen angreift, gerade ein Tier gejagt hat und das Jagdverhalten dann auf den Menschen umgeleitet wurde. Da die meisten bei solchen Vorfällen beteiligten Hunde ansonsten nicht als aggressiv auffällig galten, spricht einiges für diese Theorie. In diesen Fällen wäre der Mensch also Beute des Hundes, jedoch aufgrund einer Umleitung oder Umadressierung des Verhaltens und nicht aufgrund von primären Auslösemechanismen. Also auch in diesem Fall scheint der Mensch keine Beute im üblichen Sinn zu sen. 

Als weitere Situation, in denen das Verhalten des Hundes so gewertet werden könnte, dass er den Mensch als Jagdbeute sieht, ist das Jagen und nicht selten auch das Beißen von sportlichen Zeitgenossen wie Joggern und Radfahrern. Zur Zeit werden bezüglich dieses Phänomens zwei Auffassungen kontrovers diskutiert. Die Vertreter der einen Richtung schätzen dieses Verhalten als Jagd auf den betreffenden Menschen ein, das nur deshalb nicht zu mehr Unfällen führt, da der Hund , sobald er das weglaufende Beutetier Mensch erreicht, merkt, dass dieses Wesen keine potentielle Beute ist. Das oft beim Erreichen des Fahrrads oder Joggers einsetzende Bellen wird als Übersprungshandlung gewertet, die aufgrund der Konfliktsituation, in der sich der Hund beim Erreichen des Joggers oder Radfahrers befindet, einsetzt. 

Das zweite Erklärungsmuster baut auf gruppendefensiver Aggression auf, wobei jedoch festgestellt wird, dass das Verjagen einen selbstbelohnenden Aspekt haben kann. Ich tendiere dazu, mich der zweiten Richtung anzuschliessen. Zwar neigen sehr viele Welpen und Junghunde dazu, Dingen, die sich schnell bewegen, nachzulaufen, doch verliert dieses Spiel in den meisten Fällen mit der Zeit seine Faszination. 

Diejenigen Hunde, bei denen dieses Verhalten zu einem Problem geworden ist, sind nach meinen Erfahrungen sehr ängstliche Individuen oder haben bei der im Jugendalter gemachten Jagt auf Menschen sehr negative Erfahrungen gemacht. Meist reagieren diese Hunde auch bei der Annäherung an den Besitzer mit gruppendefensiver Aggression, wogegen sie ohne den Besitzer sehr ängstlich und fluchtbereit sind. Außerdem jagen viele dieser Problemhunde auch Autos, die sicherlich in kein Beuteschema des Hundes passen. Meiner Meinung nach würde also auch in diesen Fällen der Mensch vom Hund nicht als potentielle Beute betrachtet. 

Doch was ist mit den Fällen, in denen ein oder mehrere Hunde gezielt Menschen anfallen und in denen Auslöser wie Rangordnungsregelung, Futter und Territoriumsverteidigung, Schmerzaggression oder Aversion gegenüber dem Opfer und die oben beschriebene gruppendefensive Aggression ausgeschlossen werden können? Fälle bei denen Bißverletzungen und das Folgeverhalten des Hundes darauf hinzuweisen scheinen, dass das Opfer gejagt, gestellt, niedergerissen und der "Besitz" des Opfers anschliessend vehement verteidigt wurde? 

Als Beispiel möchte ich einen Fall aufzeigen, der sich vor einigen Jahren ebenfalls in meiner unmittelbaren Nachbarschaft abgespielt hat: 
Ein Spaziergänger wurde von zwei Hunden, die normalerweise einen Schrottplatz bewachten, denen jedoch ein Ausbruch gelungen war, ohne Vorwarnung angegriffen und aufs Übelste zugerichtet. Andere Menschen, die hinzukamen um zu helfen, wurden zwar nicht angegriffen, jedoch durch massives Drohen daran gehindert, dem Opfer näherzukommen. Erst nachdem eine Person ein Auto über den schwer verletzten  Mann so positionierte,  dass die Hunde nicht mehr an ihr Opfer herankamen, konnte das Geschehen beendet werden. Auch in einem anderen Fall, bei dem eine Frau von einem Hund angefallen worden war, hatte der Hund sein Opfer verteidigt und an der Kopfhaut packend wegschleifen wollen, was dazu geführt hat, dass die Frau halb skalpiert ins Krankenhaus eingeliefert wurde. 

Haben diese Hunde in den Menschen tatsächlich eine Beute gesehen, oder gab es andere Auslöser? 

Beutemachen - ich spreche hier ganz bewusst nicht von Beutetrieb -, bedeutet für den Hund nicht nur Fressen. Der Befriedigung des physischen Bedürfnisses nach Nahrung ist naturgemäß in den meisten Fällen die Jagd vorgelagert, die sich in Teilvorgänge - nämlich Fixieren - Anpirschen - Jagen - Reissen - Zerlegen untergliedern lässt. Zu beachten ist, dass diese Vehaltenskette in Teilvorgänge zerlegt werden kann und die einzelnen Sequenzen in ihrer Ausgestaltung unterschiedlich sein können. 

Jagen an sich wird zwar von angeborenen Auslösemechanismen gesteuert, doch müssen die entsprechenden Verhaltensweisen, die eine erfolgreiche Jagd bedingen, erst einmal trainiert werden, im Spiel und in der Praxis. Auch das Lernen am Modell, d.h. dem Beobachten anderer, ist für ein erfolgreiches Jagen ausschlaggebend. Zu den angeborenen Auslösemechanismen gehört auch ein bestimmtes Beuteschema. So wird eine Hasenattrappe Jagdverhalten auslösen können, die eines Menschen jedoch nicht. 

Diese Fähigkeit "Jagen " zu können, und zwar besser als der Mensch, hat zumindest bei der Züchtung von Rassen eine immense Bedeutung. Nicht von ungefähr sind in frühen historischen Schriften insbesondere Junghunde erwähnt, auch wenn diese Hunde mit den Vertretern der heutigen Rassen zumindest im Aussehen nicht mehr viel gemein hatten. Diese Selektion auf Jagdfähigkeit hin hat dazu geführt, dass sehr viele Rassen Verhaltensweisen zeigen, die dem Formenkreis des Jagdverhaltens zuzurechnen sind. Hierzu zählen beispielsweise die Verhaltensmuster von Schäfer- und Hütehunden, da das Hüten der Schafe im Sinne von Treiben, Separieren, Einpferchen usw. letztendlich ein Jagen der Schafe darstellt, was lediglich die Endhandlungen - Reissen und Zerlegen - nicht beinhaltet bzw. nicht beinhalten darf. 

Wird dieses jagdverhalten nicht durch Lernen, insbesondere durch die Vermittlung von Erfolgserlebnissen gefördert, sondern eher gebremst, halten sich die jagdlich orientierten Verhaltensweisen auf einem Niveau, mit dem der Mensch im Sinne eines friedlichen Miteinanders umgehen kann. Bei Hunden jedoch, deren angeborene Auslösemechanismen zum Jagen sehr stark ausgeprägt sind oder die durch ihr Jagdverhalten positive Erfahrungen gesammelt haben, werden die natürlichen Auslöser, sprich Wild, immer wieder greifen. Jeder der/die sich mit Hundeausbildung befasst, weiss, wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich es ist, solche Hunde vom Jagen abzuhalten. 

Wird das Jagdverhalten, die Motivation Beute zu machen, hingegen jedoch noch gefördert, hat man einen ausgezeichneten Jagdhund oder einen durch die Jägerschaft und die Viehzüchter sehr bedrohten wildernden Hund. Hat solch ein Hund dann noch die Bereitschaft der Eigenwehr, des Selbstschutzes, d.h. reagiert er bei Bedrohung oder schmerzhaften Erlebnissen aggressiv und läuft nicht weg (beispielsweise wenn ein Fuchs oder die Katze des Nachbarn sich wehrt, um ihr Leben zu retten), hat man einen ausgezeichneten raubzeugscharfen Jagdhund oder aber einen Hund, bei dem jede Katze in der Nachbarschaft um ihr Leben bangt, aber auch Ratten keine große Überlebenschance haben. Den Menschen werden diese Hunde aber nicht als Beute bewerten, so daß die menschliche Nachbarschaft ungeschoren davonkommt. 

Sie stellen sich jetzt sicherlich die Frage, weshalb das Jagdverhalten so ausführlich angesprochen wird, wenn doch der Mensch als Beute nicht in Betracht kommt und somit auch nicht gejagt werden dürfte? 

Ich stelle die Gegenfrage: Was passiert, wenn jagdliche Motivation gängiger unter dem Begriff Beutemotivation, bei der nicht jagdlichen Ausbildung eingesetzt wird, wie bei der Ausbildung zum Spürhund oder Schutzhund. Kann der Hund aufgrund solch einer Ausbildung den Menschen dann vielleicht doch als Beute bewerten? 

Der Spürhund, ob er jetzt Rauschgift, Schimmelpilze oder Leichenteile sucht, ist letztendlich nur darauf aus, sein geliebtes Spielzeug, das im Training als Beuteersatz fungiert, zu finden. Selbst wenn sich der zu suchende Stoff am menschlichen Körper befindet, wird der Hund nicht den Menschen als Beute sehen. Da Hunde, die solche eine Ausbildung haben, hoch beutemotiviert sind und alles daran setzen, um in den Besitz ihrer Beute zu gelangen, kann es lediglich passieren, dass, wenn ein Mensch den Gegenstand beispielsweise in der Hand hält, der Hund in seinem Eifer in die Hand oder den Arm schnappt, um an seine Beute zu gelangen. 

Was ebenfalls augenfällig ist, betrifft die außerordentliche Schmerzunempfindlichkeit solch ausgebildeter Hunde, die einiges an Widrigkeiten auf sich nehmen, um an ihr Spielzeug zu gelangen. Dieser "Masochimus" reicht vom Durchqueren von Brombeerhecken bis hin zur Weitersuche trotz gebrochener Zehe, was mir mit einer Hündin passiert ist. Was diese Hunde ebenfalls zeigen, ist eine leichte Form der possessiven Aggression, wenn es darum geht, Beute zu erhaschen oder zu behalten. 
Soviel zur Spürhundeausbildung. Fazit ist - auch hier wird der Mensch nicht als Beute behandelt oder bewertet. 
  

Was passiert  bei der Schutzhundeausbildung, die von vielen Kynologen abgelehnt wird, zumindest wenn sie von Privatpersonen durchgeführt wird? 
  

Auf die Einstellung der Menschen, die aus ihrem Hund unbedingt einen Schutzhund machen wollen und Gefallen an Vorführungen (Prüfungen genannt) finden, die auch bei neutraler Beobachtung irgendwie an Zeiten erinnern, in denen Gladiatorenkämpfe die Highlights des Lebens bildeten, will ich nicht näher eingehen. Nur so viel: Nach der Maslow'chen Motivationstheorie kann ich für solche menschlichen Handlungsweisen nur die Bedürfnislagen "Sicherheit" und "Selbstverwirklichung" ausmachen. Das diese Hunde Menschen wie Kaninchen oder Rehe jagen sollen, ist jedoch sicher nicht die Intention solcher Hundebesitzer/innen. 

Sicherlich sind auch die Begründungen interessant, mit denen die entsprechenden Personen der Schutzhunde ausbildenden Vereine, aber auch einige professionell arbeitende Hundeausbilder/innen , diese Ausbildung rechtfertigen. Fast immer wird man auf die Aussage stoßen, dass diese Ausbildung die Hunde nicht aggressiv macht, sondern spielerisch auf Beutemotivation aufbaut.  Zumindest der Neuling, der manchmal ängstlich nachfragt, ob der Hund denn durch solch eine Ausbildung böse würde, erhält diese  Auskunft, und kaum jemand kommt auf die Idee nachzufragen, ob ein dermaßen ausgebildeter Hund denn künftig Menschen als Beute bewerten wird. 

Vor wenigen Jahren jedoch wurde noch erklärt, der Hund würde in Wehr - und Kampfbereitschaft gestärkt und somit zum Verteidigen ausgebildet. Die damals einsetzende Diskussion über gefährliche Hunde hat dieses Erklärungsmuster, das, wie nachstehend noch erläutert wird, in Teilzügen korrekt ist, verdrängt. 

Tatsächlich basiert die Schutzhundeausbildung zunächst auf Spiel- bzw. Beutemotivation, wobei das Spielzeug einen Beuteersatz darstellt. Hunde, die durch eine solche Motivation - ich denke gerade an meine Ovtcharkas - nicht hinter dem Ofen hervorzulocken sind, fallen demgemäß für solch eine Form der Ausbildung flach. 

Was passiert nun beim Schutzhundetraining? 
Zunächst wird ein Hetzsack, dann eine Beisswurst, sodann ein Junghundarm und letztendlich  ein Beißarm als Spielzeug/Beute verwendet. Ein Mensch, Figurant oder Helfer genannt, ist im Besitz der vom Hund begehrten Beute und macht sie dem Hund "schmackhaft", d.h. er motiviert den Hund durch entsprechende Bewegungen dazu, den Gegenstand in Besitz nehmen zu wollen. 
Zeigt der Hund entsprechendes Interesse, erhält er die Beute und wird dadurch für sein Interesse belohnt. 

Das beim Sackhetzen einsetzende Bellen des Hundes hat meiner Meinung nach auffordernden Charakter. Während des Trainings macht man sich dies zunutze, indem der Hund lernt, dass er nur  die sich bewegende Beute schnappen darf und die sich nicht bewegende (den ruhig stehenden Figuranten) verbellen soll. Auch soll er die Beute, sobald sie sich ruhig verhält, was wiederum durch den Figuranten gesteuert wird, direkt loslassen. Eine Übung, die dann doch meist nicht so recht klappen will und bei der dann mit Starkzwang nachgeholfen wird. 

Auch wenn einige der vorgenannten Verhaltensweisen eindeutig dem Jagdverhalten zuzurechnen sind, so ist der Hund immer noch auf die Beute und nicht auf den Menschen fixiert. Der Hund lernt jedoch, daß er diesem Menschen die Beute streitig machen kann und hierfür belohnt wird, zum einen durch den Besitz der Beute und zum anderen durch die Anerkennung, die ihm durch den Besitzer/Besitzerin zuteil wird. 

Ich unterstelle, dass dies dem Hund signalisiert, dass er zumindest dem Mensch - namens Figurant - überlegen ist, da von artspezifischen Verhaltensweisen ausgehend, in der Regel nur die Ranghöheren den Rangniederen die Beute abspenstig machen können. Letztendlich wird der Hund - zumindest gegenüber dem Figuranten - in seiner Dominanz gestärkt, zumal dieser hinsichtlich der Herausgabe der Beute zunächst keine Gegenwehr zeigt und der Hund letztendlich immer Sieger bleibt, dass heisst die Beute erkämpft. 

Weiterhin lernt der Hund, dass er dem weglaufenden Menschen die Beute "abholen" muss (Flucht genannt) und es gewünscht ist, zu einem in Entfernung schnell bewegenden Menschen hinzulaufen und ihm dann die Beute abzunehmen. 

Aggression gegen den Figuranten zeigt der Hund in diesem Ausbildungsstadium kaum, wenn doch, handelt es sich höchstens um Ansätze possessiver Aggression. 
Als Beute bewertet der Hund den Figuranten dahingegen immer noch nicht. Der Hund lernt jedoch nicht nur, dass sich die Beute entziehen kann und dass man sie daher im Auge behalten und schnell zuschnappen muss, sondern auch, dass diese sich für den Hund schmerzhaft wehren kann. Die Erfahrung ist die gleiche, wie sie der Jagdhund macht, wenn er mit wehrhaftem Wild konfrontiert wird. Durch solche Erfahrungen wird der Jagdhund raubzeugscharf. 

Der Hund wird im Kampf um die Beute zwar nicht, wie das innerartlich der Fall wäre, gebissen, dafür jedoch geschlagen. Zunächst erfolgt dies durch leicht schlagendes Berühren mit dem Hetzsack, was dann die possessive Aggression stärker werden lässt oder (was nicht sein soll) sensiblere Hunde dazu veranlasst, mit Meideverhalten, Übersprungverhalten oder umgeleitetes Verhalten zu reagieren. Später kommen dann Schläge mit dem Stock, zuerst zart, dann hart, hinzu. 

Was bewirken nun diese Stockschläge? 
Der Hund, der bisher die Erfahrung gemacht hat, dass er die Beute immer bekommt und stark beutemotiviert ist, reagiert, wenn er in dieser Situation geschlagen wird, relativ schnell mit Frustrations-Aggression ggf. mit Schmerzaggression, was in der Ausbildung gewünscht wird. Hunde ohne dieses Aggressionsverhalten werden abfällig "Beuteschüttler" genannt. Wird der Hund dann für dieses reaktive Aggressionsverhalten, dass sich gegen den Figuranten richten soll, direkt durch Beutebesitz und Lob belohnt, kommt ein Lernen am Erfolg und zwar ein Aggressionslernen zum Tragen. 

Recht schnell ist man dann bei aktivem Aggressionsverhalten, dass durch entsprechende Bewegung des Figuranten (die eckig und bedrohlich sein sollen, entgegen den Bewegungen bei der Beutemotivation, die rund sein sollen) ausgelöst wird.Eine entsprechende Konditionierung auf das Wort "Fass" macht dieses Verhalten dann auch mit Worten steuer- und auslösbar. Dieses Verhalten nennt man dann Wehrtrieb oder Selbstschutzaggression und wird bei den Übungen "Mutprobe" (Angriff auf den Hund) und "Angriff auf den Hundeführer" gewünscht. 

Aber, insoweit kann ich die Anhänger dieser "Sportart" beruhigen: Auch in diesem Stadium wird der Hund den Menschen nicht als Beute bewerten, sondern nur als Individuum, das die Beute hat, die der Hund will und dem man sie abnehmen kann. 

Theoretisch möglich wäre es, dass solch ein ausgebildeter Hund (aber auch andere) im Wege der Generalisierung den Menschen dann doch als Beute ansehen kann. Es würde sich dann um eine Reizsignalisierung handeln, die den Hund veranlasst, statt des Beißarmes den ganzen Menschen als Beute zu sehen. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da der neue Reiz dem ursprünglichen ähnelnmuss, was von Beissarm und Mensch nicht behauptet werden kann. Ich spreche hier nur von der Reizgeneralisierung Beissarm - Mensch. Eine Generalisierung in Richtung Gipsarm - Beissärmel, Kartoffelsack - Handtuch, Beisswurst - Zeitung u.a. ist jedoch durchaus im Bereich des möglichen. 

Ebenfalls gefährlich werden können Reaktionsgeneralisierungen, auch Reaktionsoszillationen genannt. Solch eine Generalisierung liegt z.B. dann vor, wenn der Hund einem weglaufenden Menschen direkt mit aktiver Aggression begegnet, ohne dass eine Notwendigkeit des Selbstschutzes des Hundes vorliegen würde. 

Ebenfalls möglich sind Generalisierungen anderer, während dieser Ausbildung angewandten Reize und Reaktionen. Weglaufende Menschen - auch ohne Beissarm-, gestikulierende Menschen - auch ohne Stock-, bewegungslos stehenbleibende Menschen - auch ohne Schutzanzug-, Worte, die bei der Ausbildung gebräuchlich sind u.v.m., können infolge der Generalisierung Verhaltensweisen auslösen, die im Schutzdienst eingeübt worden sind. 

Ausserdem hat der Hund gelernt, dass aggressive Verhaltensweisen zum Erfolg führen. Möglichkeiten des nicht erwünschten Auftretens solcher Aggressionen sind die eigenständige Inbesitznahme von Gegenständen (Ball von Kind) als possessive Aggression und aktive Aggression (Selbstschutz), wenn sich das Kind dagegen wehrt. Aber auch die Umleitung (Umadressierung) aggressiver Verhaltensweisen (der wegrennende Mensch bleibt unbehelligt, dafür trifft es den gerade stehenden Nachbarn) ist durchaus möglich. Alle Möglichkeiten aufzuzeigen würde hier den Rahmen sprengen, aber zumindest diejenigen unter Ihnen, die sich mit der Verhaltenstherapie bei Hunden beschäftigen, wissen, welche Vielzahl von höchst problematischen Verknüpfungsmöglichkeiten es gerade in den Verhaltensbereichen der Angst und der Aggression gibt. 

Zugegeben, solches Verhalten kann selbstverständlich auch bei Hunden vorkommen, die keine solche Ausbildung gehabt haben  und ein Reizentzug oder unbeschäftigtes, monotones Zwingerdasein (Black box) oder ständige Reizaussetzung, auf die ein Hund nicht adäquat reagieren kann (Ärgern am Gartenzaun) kann das Auftreten aller möglichen Aggressionsformen begünstigen. Doch ein Großteil der nicht ausgebildeten Hunde wird sich, sobald der angegangene Mensch sich mit Worten und Taten zur Wehr setzt, zurückziehen und die Konfrontation meiden. Nicht jedoch der Hund, der auf aktive Aggression trainiert worden ist. 

Als besonders gefährlich stufe ich persönlich  die Hunde ein, die ( weil es vielleicht mit der Förderung der possessiven und der frustrationsbedingten Aggression nicht so geklappt hat) dann rein über die Selbstschutzaggression als gute Schutzhunde zurechtgebogen, besser gesagt, zurechtgeschlagen wurden. Diese Ausbildungsform wird von fast allen Schutzhundesportlern abgestritten - da nicht "umweltverträglich" -, und ist bei genauer Beobachtung des Geschehens auf und neben Hundeplätzen immer wieder zu sehen. Damit es denn mit der aktiven Aggression klappt, wird der Hund solange bedrängt und geprügelt, bis er endlich beisst. 

Was ich nicht gelten lassen kann, ist die Behauptung, gerade das Schutzdiensttraining mit seinen hohen Anforderungen an den Gehorsam des Hundes und die absolute Unterordnung, die die Hunde zeigen müssen, wäre die Gewähr für einen ungefährlichen Hund. Zum einen lässt der Gehorsam oft zu wünschen übrig und es wird mit Starkzwang nachgeholfen und zum anderen wird eine Unzahl von Hunden in den Sparten Beuteaggression und Selbstschutz angelernt, ohne dass die Ausbildung zu Ende geführt wird. 

Weiterhin kann niemand die Garantie dafür geben, dass der Hund nicht einmal über längere Zeit unbeschäftigt bleibt, und selbst wenn der Hund einen guten Gehorsam bei seinem Besitzer, der ihn trainiert, zeigt, ist es fraglich, ob dies beim Rest der Familie auch der Fall ist. 

Fazit ist, dass der Hund im Menschen kein potentielles Beutetier sieht. Auch in den geschilderten Fällen, in denen die angefallenen Menschen wie Beute bewacht und behandelt wurden, dürfte der Auslöser für das aggressive Verhalten nicht darin gelegen haben, dass die Hunde in dem Menschen eine Beute gesehen haben, wenn er auch letztendlich, als er sich nicht mehr gewehrt hat, als Beute behandelt wurde, ggf. infolge einer Übersprunghandlung. 

Doch wenn der Mensch auch nicht  Beute des Hundes ist, so fällt er ihm doch immer wieder zum Opfer. Gegen Haltungsbedingungen, die aggressive Übergriffe der Hunde mitbedingen, aber auch gegen Ausbildungsformen, die aggressive Verhaltensweisen, welchen Formenkreis auch immer, fördern und /oder bei denen dem Hund Schmerz zugefügt werden, nur um sportliche Leistungen zu erzielen, muss meines Erachtens vorgegangen werden, wenn weitere Sanktionsmaßnahmen gegen Hunde vermieden werden sollen. 

Wir danken Frau Bea Stalter für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlivhung dieses Textes auf unserer WebSite!


zurück

zur Infoübersicht

zur Startseite